aug 042014
 

Toespraak van Mathias Döpfner t.g.v. onderscheiding van de Award of Merit 2014 van de Joodse Orde B’nai B’rith.

Deze toespraak heeft vooral betrekking op Duitsland, maar Döpfner beschrijft hierin ook zijn eigen visie, waarom Israël volgens hem belangrijk is voor de westerse wereld, en onderbouwt het met argumenten die ook voor andere Europese landen interessant zijn.

Mathias Döpfner ist een van de belangrijkste media-mensen in Duitsland. Zijn toespraak is gepubliceerd in de krant Die Welt, van de uitgeverij waar hij de hoogste directeur van is (Springer Verlag).

Zijn toespraak is ingedeeld in de volgende punten:

Mathias Döpfner

  • Einleitung
  • Darum ging Thommy Lapid in die Politik
  • Keine andere Lösung als den Dschihad
  • Islamischer Fanatismus betrifft uns alle
  • Verzeihen die Deutschen den Israelis den Holocaust nie?
  • Solidarität als Teil der deutschen Staatsräson
  • Waffenexporte nur noch unter Auflagen?
  • Die Konfrontation der Gesellschaftsmodelle
  • Was das Leben in der freien Welt ausmacht
  • Manchmal ist es klüger, auf gesunden Egoismus zu setzen
  • Von Kollektivschuld und Kollektivscham
  • Die Opfer schämten sich für ihr Heimweh

Ich bin ein nichtjüdischer Zionist

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article129001377/Ich-bin-ein-nichtjuedischer-Zionist.html

Warum die Verantwortung für Israel deutsche Staatsräson ist und es auch bleiben muss. Ein Plädoyer von Mathias Döpfner anlässlich der Verleihung des europäischen B’nai B’rith-Preises.

Im Sommer 2006 war ich eingeladen zu einem Gespräch mit Günter Grass in seinem Wohnhaus in Lübeck. Es war bekannt, dass wir nicht immer einer Meinung sind. “Der Spiegel” versprach sich ein Streitgespräch. Es herrschte Partystimmung zu dieser Zeit. Jubel überall. Das Sommermärchen. Die WM im eigenen Land. Zum ersten Mal hingen aus jedem zweiten Fenster der Häuser und Autos deutsche Fahnen, ohne dass man dabei ein ungutes Gefühl hatte.

Günter Grass hatte das Manuskript zu seinem Buch “Beim Häuten der Zwiebel” schon abgeschlossen. Was ich während unseres Gesprächs noch nicht wusste: dass er mit seiner Autobiografie endlich zu seinem braunen Kern vorgedrungen war und seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS enthüllen würde.

In unserem Gespräch verschwieg er das noch und teilte munter aus: Richtung Axel Springer natürlich. Und gegenüber dem unerträglichen israelischen Zionismus. Irgendwann in diesem Gespräch sagte ich: Ich bin ein nichtjüdischer Zionist. Seitdem weiß ich: Das bin ich und das bleibe ich. Warum?

Darum ging Tommy Lapid in die Politik

Der einzige Holocaust-Überlebende, der im 21. Jahrhundert dem israelischen Parlament, der Knesset, angehörte, war Tommy Lapid. Ich fragte ihn eines Abends, warum er, der erfolgreiche Autor und Journalist, in die Politik gegangen sei. Der alte Mann mit einem Gesichtsausdruck, von dem man nie genau wusste, ob er verschmitzte Heiterkeit oder eine hinter einem Lachen versteckte Traurigkeit ausdrückte, antwortete mit einer Geschichte aus seiner Kindheit im Budapester Ghetto.

Eines Tages kamen die Deutschen und begannen mit wahllosen Erschießungen. Sie richteten auch seine besten Freunde hin, Kinder wie er. Er selbst konnte sich in dem Durcheinander verstecken und überlebte wie durch ein Wunder. “In diesem Moment habe ich mir vorgenommen”, sagte Lapid, “wenn ich je daran mitwirken kann, dass es auf der Welt einen sicheren Ort für jüdische Kinder gibt, dann werde ich alles dafür tun. Deshalb bin ich in die Politik gegangen, deshalb habe ich in Israel eine Partei erfolgreich in die Knesset geführt.”

Kurz vor seinem Tod im Jahr 2008 sah Lapid wenig Grund zum Optimismus. Wieder war ein Schulbus von einem palästinensischen Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt worden. “Es ist bitter, mit anzusehen”, sagte Lapid, “dass ausgerechnet Israel, das ich seit vielen Jahrzehnten für den Ort gehalten habe, an dem jüdische Kinder sicher sind, einer der Plätze der Welt ist, wo jüdische Kinder am unsichersten sind.”

Keine andere Lösung als den Dschihad

In der offiziellen und überall nachlesbaren Charta der Hamas, also der Verfassung dieser im Gazastreifen regierenden Partei und Terrororganisation heißt es in Artikel 13: “Ansätze zum Frieden, die sogenannten friedlichen Lösungen und die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästinafrage, stehen sämtlich im Widerspruch zu den Auffassungen der Islamischen Widerstandsbewegung. Für die Palästinafrage gibt es keine andere Lösung als den Dschihad.”

In der gleichen Charta der Hamas findet sich unter Artikel 7 noch folgende Schlüsselstelle: “Die Zeit wird nicht anbrechen, bevor nicht die Muslime die Juden bekämpfen und sie töten; bevor sich nicht die Juden hinter Felsen und Bäumen verstecken, welche ausrufen: Oh Muslim! Da ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt; komm und töte ihn!”

Wer jetzt meint, das sei eben Propaganda, möge sich an den glühenden Fanatismus erinnern, mit dem palästinensische Mütter ihren Kindern Sprengstoffgürtel umschnallen, um sie für die heilige Sache zu opfern. Und wer meint, bei soviel Fanatismus halte man sich besser raus, denn eigentlich gehe uns das hier in Europa gar nichts an, der sei an den letzten iranischen Präsidenten erinnert, der auf der Konferenz “Eine Welt ohne Zionismus” am 26. Oktober 2005 in Teheran sagte: “Jeder, der Israel anerkennt, wird im Zornesfeuer der islamischen Nation verbrennen.”

Islamischer Fanatismus betrifft uns alle

Das war vier Jahre nach dem 11. September 2001, an dem sich Bilder von Menschen, die aus den brennenden Türmen des World Trade Center springen, ins kollektive Gedächtnis geprägt haben. Klar hätte sein müssen, dass islamistischer Fanatismus uns alle betrifft. Es wird auch heute noch von vielen unterschätzt, dass sich der Konflikt nicht gegen ein Land, sondern gegen unsere Gesellschaftsordnung insgesamt richtet. Israel ist das erste und leichteste Opfer. Der eigentliche Gegner ist unser freiheitlicher, westlicher, in den Augen der Fanatiker, gottloser Lebensstil.

Es geht in diesem Konflikt nicht darum, Israel von Kritik auszunehmen. Im Gegenteil: Man kann und muss aktuelle politische Entscheidungen gerade von Freunden kritisieren. Aber: Es ist kein Zeichen von Chauvinismus, wenn wir unsere freiheitliche Grundordnung für besser halten. Es wäre zynischer Relativismus, wenn wir sagten: Die Wahrheit liegt in der Mitte. Das tut sie eben nicht. Die Unterstützung Israels ist im Interesse des Westens.

Wie steht es in diesem Zusammenhang um die deutsch-israelischen, die europäisch-israelischen Beziehungen? Ich fürchte: so schlecht wie lange nicht mehr. Israel erscheint auf der Rangliste der von den Bundesbürgern Ende 2013 als größte Gefahr für den Weltfrieden gesehenen Länder auf dem 6. Platz, direkt hinter Nordkorea und dem Irak, und noch vor Russland, China oder Saudi Arabien. Auf Platz eins dieser Rangliste befindet sich übrigens Amerika.

Gleichzeitig ist in Deutschland seit einigen Jahren eine besorgniserregende Verschlechterung der Wahrnehmung Israels festzustellen. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa ergab 2012, dass 59 Prozent der Deutschen Israel als “aggressiv” bezeichnen, das waren zehn Prozentpunkte mehr als zwei Jahre zuvor. Nur noch 36 Prozent fanden Israel “sympathisch”, ein Minus von neun Prozentpunkten. 13 Prozent sprachen dem Staat sogar das Existenzrecht ab.

Verzeihen die Deutschen den Israelis den Holocaust nie?

Wie kann das sein? Ist es denkbar, dass Henryk M. Broder mit seiner These Recht hat, dass die Deutschen den Israelis den Holocaust niemals verzeihen? Also ihr schlechtes Gewissen nicht in Solidarität, sondern in Schuldzuweisungen mit dem Ziel der Relativierung eigener Schuld transformieren?

Zur ersten Begegnung mit dem Rassenwahn der Nationalsozialisten hat jeder seine persönlichen Erinnerungen. Bei der Generation vor mir war es der Eichmann-Prozess, der das Geschehen des Holocaust erstmals in die Schlagzeilen und das öffentliche Bewusstsein brachte. Plötzlich trat dort unscheinbar und unheimlich der Organisator des Massenmordes auf und delegierte mit leiser Stimme alle Verantwortung nach oben: “Ich habe nur Befehle ausgeführt.” Ich bin’s nicht, Adolf Hitler ist es gewesen.

Für meine Generation, zumindest für mich, wurde der amerikanische Film “Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiß” – im Jahr 1979 zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gezeigt – zum Schlüsselerlebnis. Der vierteilige Film wirkte durch personalisierte, also persönlich berührende Leidenserlebnisse und mit ikonographischen Archivbildern aus den Konzentrationslagern. Die Leichenberge vergaster und verwesender Opfer des Völkermordes waren ein Appell an jeden Zuschauer: nie wieder!

Bei der Eröffnungszeremonie eines von ihm gestifteten Lehrstuhls an der Brandeis University in Massachusetts sagte Axel Springer: “Tief im Herzen weiß ich, dass es die historische Verantwortung der Deutschen ist, den Juden in Israel zu helfen. … Ich, wie jeder andere, bin mir bewusst, dass keine Maßnahme im Rahmen von Reparations- oder Ausgleichszahlungen das Geschehene jemals entschuldigen kann. Wie kann man menschliches Leben auch entschädigen? Ich bin jedoch überzeugt, dass wir nur durch die Erinnerung an die Verbrechen eine besser Zukunft ermöglichen können. Eine Zukunft, in der sich das jüdische und das deutsche Volk eines Tages wieder versöhnen können.”

Solidarität als Teil der deutschen Staatsräson

Adenauer und Ben Gurion hatten ihre Außenpolitik auf den durch ihre Geschichte tragisch miteinander verbundenen Staat ausgerichtet und damit eine Jahrzehnte währende Kontinuitätslinie definiert. Auch Bundeskanzlerin Merkel sagte in ihrer Rede vor der Knesset im Jahr 2008: “Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.”

Damit beschrieb sie ein Paradigma, das für alle CDU- und SPD-Kanzler vorher auch galt. Weiter betonte sie: “Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte sein”. Dem möchte ich hinzufügen: Auch in der Stunde der Belehrung – also dann, wann Partner sich untereinander auf Augenhöhe kritisch unterhalten – dürfen das keine leeren Worte sein.

Im Jahr 2012 rückte Bundespräsident Gauck von Merkels Staatsräsonformel fast unmerklich ab. Er sprach nur noch davon, dass Israels Sicherheit und Existenzrecht “bestimmend” für die deutsche Politik seien. Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Gauck distanzierte sich – war es Zufall oder Absicht – ein paar entscheidende Millimeter von der bedingungslosen, nicht verhandelbaren Unterstützung für Israel.

Gauck – als ehrlicher Freund Israels – sagte, was er von der Siedlungspolitik halte, nämlich nichts. Die Stunde der Belehrung. Das sehe ich übrigens ähnlich. Die Siedlungsprojekte sind so ziemlich die effizienteste Methode, Israels Ruf in der Welt zu ramponieren. Dennoch war Gaucks Schlussfolgerung die falsche. Egal, wie unterschiedlich die Meinungen zu aktuellen innenpolitischen Debatten oder zur Auseinandersetzung mit den Palästinensern sein mögen, die grundlegende, strategische Position hätte er nicht schwächen dürfen. Das unbedingte Einstehen Deutschlands für das israelische Existenzrecht als Staatsräson.

Waffenexporte nur noch unter Auflagen?

Während man bei Gauck noch streiten kann, ob er es wirklich so meinte, war eine eindeutige Verschiebung dieser Grundkoordinate vor einiger Zeit während der Diskussion zu deutschen U-Boot-Exporten nach Israel zu beobachten. Die Unterstützung Israels – auch mit Waffen – war Teil der jungen bundesrepublikanischen Geschichte.

In den letzten Jahren jedoch kamen vermehrt Forderungen auf, die den Export der die Existenz Israels sichernden U-Boote unter Auflagen setzen wollten. Bedingungen, die offiziell gestellt wurden, waren an die Siedlungspolitik, den Bau eines Klärwerks in Gaza und die Rückzahlung palästinensischen Geldes an die Behörden in Ramallah geknüpft.

Es ist nichts anderes als die schleichende Infragestellung des Paradigmas deutscher Außenpolitik seit Jahrzehnten: Das Existenzrecht Israels war unverhandelbar und wurde bedingungslos verteidigt. Seit Neuestem wird es nur unter bestimmten Bedingungen verteidigt. Und verhandelt wird es auch. Es gibt dafür leider noch andere, aktuellere Beispiele. Ich halte diese schleichende Entwicklung, um es gelinde zu sagen, für beunruhigend.

Diese Entwicklung ist im übrigen nicht in unserem eigenen Interesse. Denn wenn wir es nicht schon allein aufgrund unserer historischen Verpflichtung heraus als Staatsräson begreifen, an Israels Seite zu stehen – dann sollten wir es wenigstens aus purem Eigeninteresse tun. Wenn Israel marginalisiert oder destabilisiert wird, verlieren insbesondere Deutschland und die USA ihren Einfluss im Nahen Osten. Was Israel schwächt, schwächt langfristig auch den Westen, Europa, Deutschland. Und nur eine starke Allianz von Europa und Amerika kann im Nahen Osten wenn schon nicht Frieden, dann wenigstens Sicherheit und Stabilität bringen.

Die Konfrontation der Gesellschaftsmodelle

Der große Konflikt der Gegenwart und Zukunft ist der Zusammenprall zwischen dem modernen, westlichen Modell einer freien Gesellschaft mit einem vormodernen, kollektivistischen Modell in Teilen des Orients und anderswo. So wie die jüdisch-christliche Zivilisation für die Freiheit des Individuums steht, so steht der islamische Fundamentalismus – nicht der Islam an sich, aber jede Form des Radikalismus – für die Intoleranz.

Seine Geisteshaltung ist antiindividualistisch, antikapitalistisch, antiamerikanisch und antisemitisch. Da gibt es nicht viel zu debattieren: Entweder man will gleiche Rechte für Männer und Frauen oder nicht; entweder man will Demokratie oder man will sie nicht; entweder man ist Antisemit oder nicht. Und wer antisemitisch ist, ist rassistisch, und wer rassistisch ist, ist intolerant, und wer intolerant ist, ist gefährlich.

Wie man die Wurzel dieses Konflikts auch immer beschreiben mag, Israel liegt in seinem Zentrum. Der Konflikt mit seinen Gegnern ist asymmetrisch. Wir suchen die Wahrheit in einer Mitte, die es nicht gibt. Rechtsstaat steht gegen Unrechtsstaaten.

Als Israels Staatspräsident Mosche Katzav vor einigen Jahren eine siebenjährige Haftstrafe wegen Vergewaltigung und mehrfacher sexueller Belästigung antreten musste, war die Überraschung groß. Der höchste Mann im Lande erfährt keine Schonung. Ja, so ist das eben in einem Rechtsstaat.

In Somalia wurde etwa zur gleichen Zeit ein 13-jähriges Mädchen von drei Männern vergewaltigt. Die islamische Miliz bezichtigte es des außerehelichen Geschlechtsverkehrs und bestrafte es nach dem Gesetz der Scharia. Das Mädchen wurde hingerichtet. Ja, so ist das in einem Unrechtsstaat.

Was das Leben in der freien Welt ausmacht

Wenn in Israel ein Politiker oder sonst wer einen Fehler macht, wird er dafür im Parlament oder in der Presse kritisiert oder verspottet. Wenn im Iran oder in Syrien jemand etwas sagen will, was der Regierung nicht passt, gibt es dafür keine Plattform in freien Medien – er riskiert sein Leben. Das ist Asymmetrie.

Deshalb ist Äquidistanz zu Palästinensern und Israelis, wie sie ein früherer deutscher Außenminister propagierte, der falsche Weg. Äquidistanz kann es nicht geben zwischen einem Aggressor, der das Mittel der Selbstmordanschläge systematisch einsetzt, und einem demokratischen Verteidiger, der beim Kampf um sein Existenzrecht weltöffentlich militärische Pannen und ungeschickte Geheimdienstaktionen rechtfertigen muss.

Es ist in unserem Interesse, Israels Rolle im Nahen Osten zu stärken – aus sicherheitspolitischen Gründen. Aber eben auch aus wirtschaftlichen Gründen. Der Nahe Osten ist ein extrem dynamischer Wirtschaftsraum und eines der innovativsten Technologiezentren der Welt.

Nach einer Umfrage des Jahres 2012 rangiert Israel als Hightech-Nation direkt hinter dem Silicon Valley als zweitstärkster Start-up-Markt weltweit. Kein Land gibt prozentual soviel Geld für Forschung und Entwicklung aus. In Israel waren es einer OECD-Studie zufolge im Jahr 2011 knapp 4,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. In Deutschland und den USA nur etwa 2,8 Prozent.

Wenn wir beispielsweise die Dominanz amerikanischer Suchmaschinen und Social-Media-Monopole kritisieren, sollten wir uns auch strategisch überlegen, mit welchen Partnern wir Alternativen, europäische Antworten auf diese Herausforderungen finden könnten. Mit der Technologie- und Entwicklerkompetenz aus Tel Aviv, Jerusalem und Beerscheba würde uns das vielleicht eher gelingen als alleine.

Manchmal ist es klüger, auf gesunden Egoismus zu setzen

Israel ist eben nicht nur religiös und kulturell tief mit Europa und den Werten des Westens verwoben, Israel ist sicherheits- außen- und wirtschaftspolitisch geradezu schicksalshaft mit uns verbunden. Wer Israel also nicht aus einer Wertegemeinschaft heraus unterstützen will, der sollte es wenigsten aus einer Interessengemeinschaft heraus tun. Und vielleicht ist es überhaupt klüger, auch in dieser Frage nicht auf den Altruismus der Menschen zu setzen, sondern auf ihren gesunden Egoismus.

Aber manchmal vergessen wir, was wir zu verlieren haben. Wohlstand und Freiheit erscheinen uns wie Naturgesetze, die es nicht zu verteidigen gilt. Zufrieden mit dem Erreichten sehnen wir uns nach Ruhe und Frieden. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Holocaust, gibt es aus verständlichen Gründen eine starke pazifistische Grundstimmung in Europa und Deutschland.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie der Körber-Stiftung sehen 51 Prozent der Befragten das primäre Ziel deutscher Außenpolitik im Erhalt des Weltfriedens. Der eigentlich sympathische Konsens im Nachkriegsdeutschland und auch heute ist: Nie wieder Krieg. Doch die wirkliche Lektion, die vor allem Deutschland aus der Geschichte gelernt haben sollte, lautet meiner Meinung nach: Nie wieder Diktatur, nie wieder Rassismus, nie wieder Völkermord und niemals Toleranz gegenüber der Intoleranz. Das bedeutet: Niemals Appeasement gegenüber irgendeiner Form des Antisemitismus.

Von Kollektivschuld und Kollektivscham

Für mich ist das der Leitgedanke. Darauf gebracht wurde ich vor dreieinhalb Jahrzehnten, damals als ich mit meiner Mutter zum ersten Mal nach Israel geflogen war. Auf dem Hinweg war ich nervös. Wie würde dort ein Vertreter des Tätervolkes empfangen werden? Ich rechnete mit Kälte, Distanz, Verachtung.

Kurz nach der Ankunft besuchten wir einen Empfang deutscher Juden, der sogenannten Jeckes. Die Stimmung war ausgelassen. Es gab Humus und Schwarzwälder Kirschtorte. Hin und wieder, wenn mir einer die Hand entgegenstreckte, sah ich am Unterarm die Tätowierungsnummer aus dem KZ. Es wurde gelacht. Statt Kälte, Distanz und Verachtung erfuhr ich Wärme, Neugier, Heimweh.

Zuerst zurückhaltend, dann immer leidenschaftlicher wurden Fragen gestellt, Erinnerungen in breitem hessischen Dialekt erzählt: “Ei, aus Frankfurt komme Se. Ja gibt’s denn noch die Familie Grüngrass?” “Ja mir habbe damals im Westend gelebt, bis mer abtransportiert wurdde, in der Siesmayerstrasse, kenne Se doch, oder?” “Isch muss immer an die großen Kastanien im Kettenhofweg denke, da ham mer als Kind immer Kastanie gesammelt.”

Und dann kamen dem alten Mann ein paar Tränen. Ich war verblüfft und berührt von der Herzlichkeit und vor allem von der Bereitschaft, die nachfolgende Generation nicht im Bann der Kollektivschuld zu sehen. Umso stärker war meine Kollektivscham.

Die Opfer schämten sich für ihr Heimweh

Eine merkwürdige Spur von Scham aber spürte ich auch bei dem einen oder anderen unserer Gastgeber. Plötzlich begriff ich die dreifache Tragik der nach Israel entkommenen deutschen Juden: Zuerst vom rassistischen Vernichtungswahn verfolgt zu werden und vielleicht die halbe oder die ganze Familie verloren zu haben. Dann in Israel, dem Fluchtort und dem Land der Hoffnung, nie ganz anerkannt zu sein und selbst hier immer etwas fremd zu bleiben.

Und schließlich noch mit einem Gefühl zu kämpfen, das jeden überkommt, der seine Heimat verlassen muss: Heimweh. Heimweh ist ein unschuldiges Gefühl. Doch in Israel, im Land der Opfer, war Heimweh nach Deutschland, dem Land der Täter, ein Gefühl, für das man meinte, sich schämen zu müssen – selbst als Opfer.

30 Jahre später erzählte mir Berthold Beitz von dem Moment, den er in seinem langen Leben als den bewegendsten erlebt hat. Er war ein junger Mann, arbeitete als Manager einer Mineralölfirma im ukrainischen Boryslaw und versuchte, Juden vor der Deportation zu retten, indem er sie als kriegswichtige Arbeiter für seinen Betrieb reklamierte.

“Aus einem der Züge”, so erzählte Beitz, “hatte ich eine junge Büroangestellte und ihre Mutter herausgezogen. Doch die Nazis schickten die Mutter wieder zurück, sie sei zu alt zum Arbeiten. Da sah mich die Tochter mit ihren großen braunen Augen an und sagte: ‘Ist es erlaubt, Herr Direktor? Dann gehe ich auch zurück’. Sie drehte sich um und stieg wieder in den Zug, der ins Lager fuhr. Als ich diese Geschichte viele Jahrzehnte später bei einer Preisverleihung erzählte, begann Ignatz Bubis, der damals Laudator war, zu weinen. Er stand auch dabei, als sein Vater von den Nazis verhaftet wurde. Nur – er war nicht mitgegangen, sondern davongerannt.”

Die Scham der Opfer, das unfassbare aber nicht zu unterdrückende schlechte Gewissen: “Warum habe ausgerechnet ich überlebt?”, macht die Nation der Täter sprachlos. Sie findet nur zwei Worte: “Nie wieder!” Ich habe die Konsequenz daraus so verstanden: dass die Freiheit zu verteidigen ist, zu jeder Zeit und um jeden Preis. Und das Symbol der Freiheit aus Deutscher Perspektive ist Israel.

Deshalb bin ich ein nichtjüdischer Zionist.


 

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE. Er wurde diese Woche in Frankfurt mit dem den Award of Merit 2014 des Jüdischen Ordens B’nai B’rith ausgezeichnet. Der Preis honoriert Persönlichkeiten, die in bemerkenswert couragierter Weise für Toleranz und Humanität eintreten.

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